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GENOSSENSCHAFTEN –

EINE AUSGEZEICHNEE IDEE!

Wir feiern doppelt: Nicht nur das 70-jährige Bestehen der Hochtaunus Baugenossenschaft eG ist ein freudiger Anlass. Passend dazu ist Ende 2016 die Genossenschaftsidee von der UNE-SCO in die Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen worden. Eine Idee, so einfach wie genial – und dabei noch sozial und nachhaltig: Eine Genossenschaft ist ein Zusammenschluss von Menschen, die gemeinsame wirtschaftliche, soziale oder kulturel-le Interessen verfolgen. Unabhängig von der Höhe der Einlagen in die Genossenschaft haben alle Mitglieder die gleichen Rechte. Auf dieser Idee basiert auch unsere Genossenschaft, die auf eine bewegte 70 Jahre zurückblickt. Die Geschichte der Genossenschaften insgesamt hat die Entwicklung des modernen Deutschlands wie kaum eine andere geprägt, hat Kriege und Nöte überstanden und setzt sich bis heute erfolgreich fort.

70 Jahre und mehr – gemeinsam bauen, gemeinsam wohnen
Vielen von uns sind vor allem Wohnungsbaugenossenschaften ein Begriff. Diese wurden beson-ders in Zeiten der Wohnungsknappheit populär. So wurde die erste Wohnungsgenossenschaft im Zuge der ansteigenden Verstädterung 1862 in Hamburg gegründet. Einen regelrechten Boom er-lebten die Baugenossenschaften jedoch vor allem nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Bis 1928 stieg die Anzahl der Wohnungsgenossenschaften in Deutschland Dank aktiver Förderung durch Städte und Gemeinden auf über 4.000. Während des Nationalsozialismus schrumpfte sie wieder auf 1.600. Nach dem Krieg war 1945 die Wohnsituation erneut desolat: Deutsche Städte lagen in Trümmern – fast zwei Millionen Wohnungen waren gänzlich unbewohnbar, doppelt so viele beschädigt. Über 20 Millionen Menschen waren unmittelbar betroffen – die meisten hatten weder ein Dach über dem Kopf noch die nötigen finanziellen Mittel, um das Heim aus eigener Kraft wieder aufzubauen. So schlossen sich Wohnungssuchende zu Genossenschaften zusammen, in-vestierten, was sie aufbringen konnten, nahmen gemeinsam Kredite auf, beantragten staatliche Zuschüsse und begannen zu bauen. So geschah dies auch rund um den Initiator Konrad Riedel, der am 25. Juli 1947 in Bad Homburg die Grundfesten für unsere Genossenschaft legte. Der Woh-nungswirtschaft gelangen in Westdeutschland beim Wiederaufbau nicht zuletzt durch die Genos-senschaften bedeutende Erfolge: In den 1950er Jahren wurden jährlich durchschnittlich 500.000 bis 600.000 Wohnungen fertiggestellt. Auch in der ehemaligen DDR bildeten sich sogenannte „Arbei-terwohnungsgenossenschaften“ – diese standen jedoch unter staatlicher Leitung. Die Abschaffung des Wohnungsgemeinnützigkeits-Gesetzes und die deutsche Wiedervereinigung veränderten An-fang der 1990er Jahre die Rahmenbedingungen für die Wohnungsgenossenschaften grundlegend. Alle Wohnungsunternehmen unterliegen nun der Steuerpflicht. Die Zahl der Wohnungsgenossen-schaften bleibt seitdem relativ konstant bei etwa 2.000. Sie verwalten über zwei Millionen Woh-nungen und zählen mehr als drei Millionen Mitglieder. Heute in Zeiten steigender Mieten und schwindenden Wohnraums scheint die Idee der Wohnungsbaugenossenschaften aktueller denn je.

Die Bedeutung des Immateriellen Kulturerbes
Die Aufnahme der Genossenschaftsidee in die „Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit“ drückt die besondere Relevanz von Genossenschaften für die Gesellschaft aus. Die Repräsentative Liste ist eine von drei internationalen Listen, die die UNESCO im Rahmen des Übereinkommens zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes seit 2008 erstellt. Sie umfasst le-bendige Traditionen aus den Bereichen Tanz, Theater, Musik und mündliche Überlieferungen so-wie Bräuche, Feste und Handwerkskünste. Die Liste wurde mit dem Ziel eingeführt, das Immateri-elle Kulturerbe weltweit sichtbar zu machen und das Bewusstsein um die Vielfalt kultureller Aus-drucksformen zu stärken. Nominierungen können von nationalen Regierungen eingereicht wer-den. Bisher sind 336 Formen des Immateriellen Kulturerbes auf der internationalen Repräsentati-ven Liste eingetragen – eine kommt aus Deutschland: die Genossenschaftsidee. Dass man ihren Grundgedanken einmal als Kulturerbe festhält, dürfte die „Väter“ der Genossenschaftsidee, Herr-mann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen, sicherlich freuen. Doch geboren wurde die Idee, wie so oft, aus der Not heraus.

Deutschland als Ursprung moderner Genossenschaften
Hungersnöte, Wassermangel und Wohnungsknappheit brachten bereits in der Antike sowie im Mittelalter frühe Selbsthilfeorganisationen hervor. Die modernen Genossenschaften entstehen jedoch erst Mitte des 19. Jahrhunderts. Nach einer Missernte im Winter 1846/47 erlebt Friedrich Wilhelm Raiffeisen die Not der Bevölkerung und gründet den „Weyerbuscher Brodverein“. Wohlhabende Bürger stellen Geld für den Kauf von Mehl zur Verfügung. Die Armen erstehen Brot gegen Schuldscheine und zahlen diese mit geringen Zinsen zurück. Die erste auf wirtschaftlichen Prin-zipien beruhende Kreditgenossenschaft gründet Raiffeisen 1862. Zur gleichen Zeit organisiert Hermann Schulze-Delitzsch in seiner Heimatstadt die „Schuhmacher-Assoziation“. Handwerker schließen sich zusammen, ohne ihre Selbstständigkeit aufzugeben, und schaffen so Gerätschaften an, die sie allein finanziell nicht stemmen könnten. Im Jahr 1867 erlässt Preußen ein erstes Genossen-schaftsgesetz. Da es jedoch nur Genossenschaften mit unbegrenzter Haftung kennt, blieb die Zahl der Gründungen begrenzt und viele überstehen die Wirtschaftskrise von 1874 nicht. Erst das Gesetz betreffend die Wirtschafts- und Erwerbsgenossenschaften von 1889, das mit Ergänzungen heute noch gültig ist, ermöglicht die Gründung von Genossenschaften mit beschränkter Haftungspflicht. Von da an beginnen sich Genossenschaften verschiedenster Art in ganz Deutschland zu entwickeln.

Eine Idee geht um die Welt
Heute gibt es in Deutschland fast 6.000 unterschiedliche Genossenschaften. Beinahe jeder Vierte Deutsche ist Mitglied in einer Genossenschaft, was den Genossenschaftlichen Verbund zur mit Abstand mitgliederstärksten Wirtschaftsorganisation in Deutschland macht. Längst ist die Genossenschaftsidee über Landes- und Branchengrenzen hinaus bekannt und vielfältig umgesetzt. Auf der ganzen Welt sind etwa 800 Millionen Mitglieder an den unterschiedlichsten Genossenschaften beteiligt: Von den eher klassischen Kredit-, Wohnbau-, Landwirtschafts-, Dienstleistungs-, Konsum-, Produktions- und Arbeitsgenossenschaften über soziale, Schüler- und Altersgenossenschaften bis hin zu Karnevals- und Energiegenossenschaften und Mikrokrediten für indische Bauern – der genossenschaftlichen Phantasie sind weder Gedanken- noch Landesgrenzen gesetzt. Und mit dem Siegel der UNESCO wird sich die Idee sicher noch weiter verbreiten.

Hermann Schulze-Delitzsch (1808-1883) war Ideenstifter und Mitgründer der ersten Handwerker-, Produktiv-, Liefer- und Kreditgenossenschaften. Von ihm stammt nicht nur die Einführung des Begriffs „Genossenschaft“, sondern auch das erste Preußische Genossenschaftsgesetz von 1867 geht auf ihn zurück